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Wissenswertes

Facebook macht E-Shops zu Zulieferer

Der Social Media-Riese fängt erst richtig an, seine Plattform für E-Commerce nutzbar zu machen. Ein Blick in die Welt des Journalismus zeigt, wohin die Reise gehen kann. Facebook erhält Inhalte frei Haus und wurde selbst zum Verleger. Werden Shopbetreiber nun zu Lieferanten degradiert?

Dass Facebook seine Datenberge zu monetisieren weiss, hat die Plattform schon vielfach beweisen. Im Fokus steht derzeit der Handel via E-Commerce. Facebook setzt dabei voll und ganz auf die noch weitgehend unbekannte Technologie der Chatbots, also automatisierte Dialogsysteme, wie das Unternehmen jüngst am Web Summit in Lissabon verlauten liess. Unternehmen sollen mit ihren Kunden via Facebook-Messenger interagieren, um so ihre Produkte besser vertreiben zu können. Für eine effiziente Abwicklung soll die Messenger-Umgebung gar nicht mehr verlassen werden – auch nicht für die Bezahlung. Gerade bei diesem Schritt sprangen in der Vergangenheit viele Kunden ab. Da dürfte die neue Technologie bei Shopbetreibern durchaus auf Interesse stossen.

Programmatic-Supermächte dominieren Markt

Unternehmen können zukünftig im Newsfeed der Facebook-Nutzer Anzeigen schalten, die sie dann zum Chat führen. Dass Facebook und Google bis ins Jahr 2020 rund 85 Prozent Marktanteil am Programmatic Advertising-Markt haben könnten, lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen. Wird der vollautomatische Einkauf von Werbeflächen in Echtzeit von zwei «Programmatic-Supermächten» dominiert, hätte dies unmittelbare Auswirkungen auf E-Shops, die mit dem Ökosystem Facebook zusammenhängen.

Lehren aus der Welt der Verleger ziehen

Dabei kann man aus der Entwicklung der Zusammenarbeit von Verlagen und Facebook einiges lernen. Viele informieren sich heute nur noch über soziale Medien. Egal ob es um Wahlen, Naturkatastrophen oder Terroranschläge geht, welche Artikel Nutzer zu Gesicht bekommen, respektive im Newsfeed auftauchen, entscheidet die Plattform, nicht der Leser. Die Abhängigkeit der Verlage von Facebook wurde durch die Einführung von ‘Instant Articles’ noch grösser. Verlage können ihre Artikel seit 2015 direkt auf Facebook veröffentlichen. Damit geben sie ihre Inhalte aus der Hand und überlassen das Schicksal ihrer Artikel den Algorithmen. Gründer Mark Zuckerberg kam dadurch seinem Ziel «die beste personalisierte Zeitung der Welt» zu machen ein grosses Stück näher. Facebook ist Verbündeter und Konkurrent zugleich: Die Plattform half Zeitungen, ihre Leserschaft zu vergrössern. Gleichzeitig degradierte es ihre Partner – im Falle von ‘Instant Articles’ – zu reinen Zulieferern.

Brücke vom Chatbot zum digitalen Laden schlagen

Die digitale Customer Journey ganz aus der Hand zu geben und bei allen Produkten ausschliesslich auf Facebook zu setzen, kann nicht funktionieren. Kunden sind in der digitalen Welt vorwiegend auf der Suche nach dem besten Preis. Produkte werden über Plattformen hinweg verglichen. Vor allem trifft dies auf Güter zu, die zum Ende des Verkaufsprozesses hin mit rationalen Argumenten überzeugen müssen, wie beispielsweise Elektronik. An dieser Stelle kommen webseitenbasierte E-Shops ins Spiel. Hierher kommen Kunden später wieder zurück. Chatbots könnten somit für viele Produkte als emotionaler Einstieg dienen und den Anfang von Verkaufsprozessen optimieren. Viel wichtiger ist es, dass Nutzer den Weg vom Chatbot in den Laden finden und später wieder hierher zurück. Hat man sich nach reiflicher Überlegung für ein neues Fahrrad entschieden, möchte man mit dem Roboter nicht nochmals die gleiche Konversation führen, bis man zu seinem Objekt der Begierde gelangt. Das wäre, als würde man mit dem gleichen Verkäufer im selben Laden zweimal das gleiche Verkaufsgespräch führen.

Webshops werden ihrer Rolle als zentrale, digitale Verkaufshubs auch zukünftig gerecht, denn sie sind massgeschneidert und auf die Bedürfnisse der Betreiber ausgerichtet. Und das ist auch ihr grösster Trumpf: Mit ihnen können sich Shopbetreiber stets neuen Gegebenheiten anpassen und vorhandenen Handlungsspielraum nutzen – heute wie auch zukünftig.

Webshops sollten vielmehr in der Customer Journey nahtlos an Facebook anknüpfen, statt ausschliesslich auf diesen Kanal setzen – zumal hier die Kundenbindung ein vielfaches schwieriger ist, weil Nutzer die Umgebung des Social Media-Riesen nicht mehr verlassen. Verlage haben erst spät – viele leider zu spät – bemerkt, dass Leser nicht auf Facebook, sondern auf der hauseigenen App gebunden werden. Vor dem Hintergrund, dass die Rückkehrerquote zu den Chatbot-Shops zukünftig von Facebooks Algorithmen oder vom Mediabudget abhängen könnte, ist es umso wichtiger, dass nebst dem wohl unvermeidbaren «besten personalisierten Laden der Welt» ein solider stationäre Onlinehandel entsteht, der seine Kunden wie Könige statt Massenware zu behandeln weiss.